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  • Wiebke Salzmann

    freie Lektorin und Autorin

  • Text-Wirkerei

  • Wirken an Texten – Wirken von Texten

Diese Geschichte

begann im Schreibseminar im Literaturhaus Kuhtor in Rostock. Wie die „Zeichen der Wetterdrachen“ wuchs sie dann über mehrere Jahre – der Zusammenhang mit der Handlung um die Wetterdrachen und den Schmetterling war am Anfang noch gar nicht da. Es ist schon seltsam, aber es war fast so, als würde ich die Zusammenhänge nach und nach entdecken, wie ein Archäologe – statt sie zu erfinden.

Im Licht des Sonnentaus

Seit Jahren liegt Havnstadir unter einer grauen Wolkendecke, die Stadt verarmt zusehends. Kergja schlägt sich gerade so durch, sie verdient ihr Bisschen Geld mit dem Sonnentau, den sie am Strand sammelt. Was ihr Auftraggeber damit anstellt, interessiert sie nicht weiter. Doch dann wächst aus einem Stück Sonnentau ein Baum. Ein Baum, der sprechen und gehen kann. Geheimnisvolle leuchtende Kugeln schenken den Bewohnern Havnstadirs endlich das langvermisste Licht und es geht aufwärts. Doch dann rollen Wellen ohne Wind an Land, das Meer steigt und die ersten Stadtteile versinken im Wasser.
Sind die Kugeln schuld? Und was hat der merkwürdige Priester tatsächlich vor? Können Kergja und Svalur die Stadt retten?
Im Licht des Sonnentaus

Wiebke Salzmann
2015

ca. 160 Druckseiten; in sich abgeschlossener Roman

erschienen bei bookrix.de
Leseprobe auf bookrix.de

1,49 €

als E-Book erhältlich, in vielen gängigen Online-Shops


Seit Jahren liegt Havnstadir unter einer grauen Wolkendecke, die Stadt verarmt zusehends. Kergja schlägt sich gerade so durch, sie verdient ihr Bisschen Geld mit dem Sonnentau, den sie am Strand sammelt. Was ihr Auftraggeber damit anstellt, interessiert sie nicht weiter. Doch dann wächst aus einem Stück Sonnentau ein Baum. Ein Baum, der sprechen und gehen kann. Geheimnisvolle leuchtende Kugeln schenken den Bewohnern Havnstadirs endlich das langvermisste Licht und es geht aufwärts. Doch dann rollen Wellen ohne Wind an Land, das Meer steigt und die ersten Stadtteile versinken im Wasser.
Sind die Kugeln schuld? Und was hat der merkwürdige Priester tatsächlich vor? Können Kergja und Svalur die Stadt retten?

Im Licht des Sonnentaus
Wiebke Salzmann, 2015
ca. 160 Druckseiten; in sich abgeschlossener Roman
erschienen bei bookrix.de
Leseprobe auf bookrix.de
1,49 €
als E-Book erhältlich, in vielen gängigen Online-Shops

Auf den Internetseiten zu meinen Fantasy-Romanen um die Wetterdrachen erfahren Sie noch mehr zum „Licht des Sonnentaus“.

Leseprobe

Der Hain der Tanzenden Bäume

Foto: Bernstein am Strand
Vorbild für den Sonnentau war Bernstein. Dieses Stück Bernstein fand mein Mann 2003 am Strand in der Rostocker Heide. Es ist etwa 2 cm groß. Da Bernstein eine ähnliche Dichte hat wie Wasser, findet man ihn leichter, wenn das Wasser eine hohe Dichte hat – dann schwimmt er leichter auf. Was bedeutet, dass man ihn eher im Winter findet, wenn das Meer kalt ist. Dazu sollte kurz vorher ein Sturm aus der richtigen Richtung den Tang und mit ihm den Bernstein an den Strand geworfen haben. Alles in allem war das Finden dieses Bernsteins eine furchtbar eisige Angelegenheit …

Kergja zog kurz die Brauen zusammen, als sie Askur und den Baum auf der Stadtmauer nach Norden verschwinden sah. Dann fiel ihr ein, dass die Mauer bei Brennirs Garten eingestürzt war, die beiden mussten also im Osten um die Stadt herum, um nach Süden zu gelangen. Unvermittelt wurde ihr Blick vom Nachthimmel angezogen. In den schwarzroten Wolken erschien eine Gestalt, schemenhaft, durchsichtig, mit fahl schimmernden Augen und bleichem Horn auf der Stirn. Nebel dampfte aus ihren Nüstern, dann schlug sie mit dem langen Schweif. Gischt spritzte hoch in die Wolken, als der Schweif die See traf. Das Rauschen schwoll an, dann schlug eine Woge gegen die Mauer. Ein schrilles Knirschen ertönte, Kergja schwankte, sie stützte sich an der Mauer ab. Das Rauschen verebbte wieder, aber als Kergja die Hand zurückzog, war diese nass. Ein hohles Gefühl im Magen tastete sie die Steine ab. Die ganze Mauer war nass. Durch haarfeine Risse rannn das Wasser hindurch und an ihr herab. Risse, die sich mit jeder neuen Welle weiter öffnen würden.
Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Aber wohin? Hektisch sah sie vor und zurück. Den Glatzkopf hatte sie nördlich von ihrer jetzigen Position gesehen. Sie raffte ihren Rock und hastete durch das Wasser. Sie achtete nicht auf das Spritzen, verfluchte das Wasser, weil es ihren Lauf behinderte. Und merkte, wie es stieg, unaufhaltsam stieg. Als die Straße einen Knick machte, von der Stadtmauer weg, stand es ihr bereits bis zum Knie. Sie wollte der Straße folgen, fuhr aber sofort ins Dunkel zurück, vor ihr glänzte trübe der Schein mehrerer Fackeln und Kugeln auf dem Wasser.
Doch nicht das Licht machte ihr Angst, sondern sie, die es trugen. Zwei Karren steckten im Wasser, das bereits an der Fracht zu lecken und zu zupfen begann, darum herum Menschen, schreiend, bittend, schluchzend – es nützte ihnen nichts. Unerbittlich wurden sie von der Stadtwache mit gesenkten Speeren gezwungen, ihre Karren stehen zu lassen und mitzukommen.
Der Lichtschein wurde schwächer, als die Gruppe sich entfernte. Trotzdem drückte Kergja sich eng an die Mauer und überlegte fieberhaft. Sollte sie denen die Gasse hinunter folgen? Würde sie entdeckt? Oder sollte sie den schmalen Weg gegenüber nehmen, kaum breit genug für einen Menschen, der sich als Forsetzung der Gasse zwischen das letzte Haus und die Stadtmauer drückte? Als einer der Gefangenen entwischte und die Straße zurücklief, genau auf sie zu, war ihre Entscheidung klar. Rasch schlüpfte sie in den Weg, gerade rechtzeitig, bevor das Licht der verfolgenden Soldaten sie erreichte. Sie watete hastig, versuchte, kein Geräusch zu machen. Hinter ihr ertönte ein Sirren, ein Klatschen von etwas Schwerem auf Wasser, ein Schrei, der gurgelnd abbrach. Kergja musste sich einen Moment an die nasse Stadtmauer lehnen und ihre aufsteigende Übelkeit niederkämpfen. Dann hastete sie weiter. Ihr Hasten wurde bald zu zähem Waten. Den Rock zu raffen, reichte schon lange nicht mehr. Schwer schlug ihr der Stoff gegen die Beine, zog an ihr mit dem Gewicht nasser Wäsche. Mit Tränen in den Augen über die neuerliche Verzögerung zog sie ihn aus und wickelte ihn um ihre Taille.
Endlich erreichte sie das Ende des Weges. Nur zwei Hausbreiten war er lang, doch stand das Wasser ihr nun schon zwei Handbreit über dem Knie. Vor ihr lag eine Gasse, die links an der Stadmauer endete. Es gab nur die Möglichkeit, ihr nach rechts zu folgen, der schmale Weg setzte sich geradeaus nicht fort. Sie biss sich auf die Lippen. Wo war Svalur? Woher sollte sie wissen, welches die richtige Gasse war? Das richtige Haus? Dass er möglicherweise auch in einem anderen Viertel stecken konnte, darüber dachte sie lieber gar nicht erst nach. Zwei Häuser weiter quietschte ein Riegel, wieder drückte Kergja sich ins Dunkel. Dann erklangen aufgeregte Stimmen. Fackeln glommen auf, deren Licht auf dem Wasser trieb, als sich die Träger entfernten, sich mit mit rudernden Armen durch das Wasser kämpfend.
Kergja sah den beiden nach, mit vor Hoffnung und Angst fliegendem Atem. Die Glatze des einen hatte im Fackelschein unübersehbar geglänzt. Wie viele Kahlköpfe mochten im Tischlerviertel wohnen? Aber es war eine Chance.
Sie kämpfte sich durch das Wasser. Es ging leichter, wie beflügelt kam sie voran. Dann wurde ihr klar, woran das lag. Die Strömung unterstützte sie, das Wasser floss in die Stadt. Sich zur Mauer umdrehend, sah sie den zwei Fuß breiten Riss, ein düster-roter Keil in der schwarzen Mauer. Beim Anblick des gurgelnd eindringenden Wassers machte sich ihr das erste Mal die Kälte des Wassers bemerkbar, drang ihr schlagartig bis ins Blut. Als sie sich wieder umwandte, sah sie direkt in eine Speerspitze. Vor ihr stand ein Wachmann, den roten Rock nass bis auf die Haut, in der einen Hand ein Licht, in der anderen den Speer. Er stand genau zwischen ihr und dem Haus, aus dem der Kahlköpfige gekommen war. Er und sein Speer. Der Soldat sagte irgendetwas, Kergja hörte ihn nicht, sie sah nur den Speer. Ein Speer, der zwischen ihr und dem Menschen, den sie liebte, stand. Ein wildes Knurren auststoßend erriff Kergja den Spieß, eine Drehung des Schaftes und der Soldat ließ los, völlig überrascht. Dann fuhr ihm das stumpfe Ende des Speers in die Rippen, spritzend stürzte er ins Wasserr, kam prustend wieder hoch. Ein neue Woge schlug krachend gegen die Mauer. Ein Zittern lief durch den Boden, Wellen eilten über die Wasserfläche, schwappten bis zu Kergjas Taille hoch. Etwas prasselte hinter ihr, ein Klatschen, wie von Steinen, die ins Wasser fallen. Der Soldat riss die Augen auf, warf sich herum und watete um sein Leben. Kergjas Atem ging heftig, ein Blick zurück zeigte ihr, dass der Riss seine Ausdehnung verdoppelt hatte. Die Zeit lief ihr davon. Sie benutzte den Speer als Gehstock, kam dadurch etwas schneller voran. Trotzdem schien es ihr eine Ewigkeit, bis sie endlich die Tür erreichte. Sie war nicht verriegelt, als Kergja die Klinke drückte, öffnete sie sich wie von selbst. Das hereinströmende Wasser drückte sie nach innen.
Im Flur stand das Wasser genauso hoch wie draußen. Seitlich führte eine Treppe nach oben, geradezu lag eine Tür. Die Tür war von außen verriegelt. Kergjas Herz schlug schneller. Türen, die von außen verriegelt waren, sollten drinnen etwas festhalten. Sie eilte hinüber, schlug laut dagegen. „Svalur!“
„Kergja? Kergja! Wo kommst du her?!“
Die Erleichterung über die Antwort trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie packte den Riegel und schob. Er war gut geölt und glitt leicht und lautlos zur Seite. Dann zog sie an der schweren Tür. Die regte und rührte sich nicht. „Svalur! Du musst von innen gegen die Tür drücken!“ Sie zog noch einmal, hörte ihn von innen ächzen, aber die Tür bewegte sich nur wenige Fingerbreit und schloss sich sofort wieder, als Kergja loslassen musste. Kergja stand mit hängenden Armen da. Das Wasser. Der Druck des Wassers hielt die Tür geschlossen.
Und es stieg weiter.

Svalur unterdrückte einen Triumphschrei, als sich der Strick endlich löste. Er rieb sich die Hände, die von dem kalten Wasser steif geworden waren, aber sein Plan war aufgegangen, der feuchte Strick hatte sich abstreifen lassen, wenn auch mühsam. Er rappelte sich aus dem Wasser auf, in dem er gehockt hatte.
Wieder ein Donnern, das Zittern des Bodens. Und das Wasser stieg, stieg jetzt mit Macht, reichte ihm bald bis zum Oberschenkel. Hektisch begannen Svalurs Augen nach rechts und links zu wandern, die Mauern waren stabil, die Fenster viel zu klein zum Durchschlüpfen, selbst wenn es ihm gelang, die Verbretterung los zu reißen. Die Tür. Das ganze Haus verfiel, seine einzige Chance war, dass der Riegel keine Ausnahme machte. Sein Atem wurde keuchend, er holte Schwung – und stürzte klatschend ins Wasser, weil er abrupt anhielt. Jemand rief ihn von draußen. Kergja!
Seine plötzliche, überschwappenden Freude stürzte ins bodenlose, als klar wurde, dass sie die Tür nicht aufbekommen würden.
Er lehnte sich an das Holz, im jetzt hüfttiefen Wasser. „Kergja! Das hat keinen Sinn! Verschwinde! Es wäre sinnlos, wenn wir hier beide ertrinken!“ Er hörte nichts, dann tappten Schritte die Treppe in der Diele hoch. Er hörte sie über sich rumoren. Stand es so schlimm, dass kein Entkommen auf die Straße war und sie sich im oberen Stockwerk in Sicherheit bringen wollte? Svalur lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und schloss die Augen. Sollte dies das Ende sein? Die Schritte kamen wieder herunter getappt, es platschte leise, dann schrie Kergja „Svalur – weg von der Tür!“
Er hatte sich noch nicht ganz herumgedreht, da krachte eine Axt gegen das Holz, die Tür splitterte, Holzfetzen flogen ihm ins Gesicht. Noch drei, vier Hiebe, und das Loch war groß genug. Die Axt klatschte ins Wasser, Kergjas Hände streckten sich ihm entgegen, da hatte er sich schon hochgestemmt und halb hindurchgeschoben. Später würde er etliche Splitter aus Armen, Händen und Rumpf ziehen müssen, aber dazu war jetzt keine Zeit.
„Dich schicken die Einhörner!“
Er schlang die Arme um Kergja, musste sie aber bald wieder loslassen, denn sie zog ihn rasch nach draußen. Im fahlen, roten Licht erhaschte er einen Blick auf ihr verweintes, mit Ruß und Asche verschmiertes und zerkratztes Gesicht.
Sie schraken zusammen, als die nächste Welle gegen die Mauer brach, wieder erklang das Ächzen von Steinen, das Klatschen, als sie ins Wasser fielen.
Das Wasser stieg weiter. Als sie sich auf die Stadtmauer zu bewegten, mussten sie sich gegen die rasch zunehmende Strömung stemmen, die Kergja inzwischen bis zur Brust reichte. Sie versuchte, zu schwimmen, aber ohne Halt auf dem Boden war sie machtlos gegen die Strömung. Sie kamen kaum noch vom Fleck. Vor ihnen gähnte der keilförmige Riss in der Mauer, oben inzwischen eine Manneslänge breit, durch den schwarz und unaufhaltsam das Wasser floss. Das hereinströmende Wasser warf Kergja zurück, sie taumelte gegen Svalur. Der griff rasch zu, verhinderte, dass sie ins Wasser stürzte. Dann hielt er die vor Erschöpfung Zitternde fest.
„Svalur – das schaffen wir nie! Wir kommen noch nicht einmal zur Mauer hin, geschweige denn rauf!“
„Wir müssen. Komm.“
Rasch zog er sie nach rechts, in einen Weg zwischen zwei Häusern.
„Wohin ...“ Wasser verschluckte gurgelnd den Rest ihrer Worte. Sie versuchte, sich auf die Zehenspitzen zu stellen, vergeblich. Es ging nicht mehr. Kergja breitete die Arme aus und versuchte zu schwimmen. Svalur sah sich um und erwischte sie gerade noch, bevor die Strömung sie gegen eine Hauswand werfen konnte.
„Halt durch! Wir haben’s gleich geschafft!“
Er zerrte sie hinter sich her, bemüht, ihren Kopf über Wasser zu halten.
Dann sah Kergja es und schluchzte vor Erleichterung. Im spitzen Winkel stieß der Weg an die Mauer, an einer Stelle, an der ein Stapel Sandsäcke lag. Kergja griff nach den Säcken, klammerte sich fest. Svalur schob sie nach oben, bis sie auf den Säcken saß, kletterte dann hinterher und half ihr, auf die Mauer zu kommen. Oben angekommen, sank sie in ein hustendes, schluchzendens, zitterndes Bündel zusammen. Svalur beugte sich über sie und schüttelte sie sanft, aber mit mühsam bezwungener Ungeduld. „Kergja – wir müssen hier weg! Die Mauer kann jeden Moment völlig zusammenbrechen!“ Sie nickte und raffte sich auf, zu einem schleppenden Lauf auf der Mauer nach Norden, um im Osten herum auf die Südseite zu kommen. Svalur folgte ihr, achtete darauf, hinter ihr zu bleiben, damit er sie nicht verlieren konnte.
„Was ist eigentlich passiert?“
Sie wandte sich nicht um. „Der Baum ist bei Askur. Sie gehen zum Hain.“
Svalur öffnete den Mund, er hatte nicht nach dem Baum fragen wollen. Das Feuer bei seinem Vater war es, was ihm Angst machte. Aber als er Kergjas Rücken betrachtete, der sich steif und abweisend vor ihm bewegte, wusste er, dass er die Antwort nicht hören wollte. Noch nicht. Svalur folgte Kergja wie in Trance. Immer wieder hörte er die Worte des Tischlers: „Aber es ist alles in Flammen aufgegangen – ich konnte mich retten, Snerra ist umgekommen!“
Aber noch hatte sein Hirn eine schützende Mauer zwischen ihm und dem, was diese Worte und Kergjas Schweigen bedeuten mussten, errichtet. Das Wissen um das Schreckliche saß fest hinter der Mauer, kratzte daran herum, versuchte, darüber zu schauen, aber noch hatte es keine Chance. Noch nicht. Ein Donnern ging durch die Mauer, als ein Schlag wie mit einem gewaltigen Rammbock sie traf. Wasser spritzte über die Brüstung, klatschte auf den Wehrgang, durchnässte Svalur. Er prallte gegen Kergja, die wich hastig zurück und zog ihn mit sich. Dann standen sie still, lauschten atemlos dem Zittern, das aus dem Boden unter ihren Füßen aufstieg. Das Rauschen des Meeres schwoll weiter an, die See holte Atem, und dann führte sie ihren nächsten Schlag. Kergja drückte sich an Svalur, er sah sich um. Zurück? Weiter nach vorn? Runter von der Mauer? Das Zittern der Mauer wurde zu einem Beben, die Brüstung begann zu wackeln. Die nächste donnernde Welle ließ die Mauer schwanken, erste Steine bröckelten aus der Brüstung. Kergja wich einen Schritt zurück, Svalur folgte ihr langsam, dann brach ein neuer Schlag gegen die Mauer, sie wandten sich um und rannten um ihr Leben. Schlangengleiche Äste wanden sich um Kergjas Arme, ihre Taille wurde von einem starken Zweig gehalten. Sie zappelte, schlug und biss um sich, aber alles, was sie tat, ließ den würgenden Griff der Zweige noch fester werden. Sie verlor den Boden unter den Füßen, schrie, schrie nach Svalur, dann sah sie, dass er genau wie sie in der Falle hing. Langsam, aber unaufhaltsam wurden sie nach oben gezogen.
Dann brach die Mauer.
Als wäre sie aus Butter, wich sie dem Wasser in einer einzigen einladenden Bewegung. Schwarz und strudelnd strömte die See herein, gierig, eilig nahm sie schwarz und gurgelnd die Stadt in Besitz.

© Wiebke Salzmann, 2003–2014

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© Wiebke Salzmann