• Wiebke Salzmann

  • Text-Wirkerei

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Der Westentaschenkrimi „Die rote Frau“

Rhiannon wandte sich um, um in die ihr gewiesene Richtung zu gehen und blieb abrupt stehen. Sie befand sich mitten zwischen den Hexenbuchen. Über ihr wölbten sich die gekrümmten Äste, wie in einem nicht enden wollenden Krampf gefangen.

Titel des Westentaschenkrimis

Kurz nachdem die Studentin Rhiannon beim Gartenfest des Grafen gekellnert hat, wird dessen Nichte ermordet. Dann scheint der Mörder es auf Rhiannon selbst abgesehen zu haben. Oder war es doch nur ein Jagdunfall? Ist Rhiannons Familie in die Geschichte der Grafenfamilie verstrickt? Und was ist dran an den alten Geschichten von dem Fluch …

Westentaschenkrimi „Die Rote Frau“

76 Seiten im DIN-A6-Format (hochkant)
6 € inkl. MwSt zzgl. Versandgebühr

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Die Krimis spielen an fiktiven Orten an der Ostseeküste von Mecklenburg-Vorpommern. Hier hat mich der Hain von Süntelbuchen bei Lietzow auf Rügen inspiriert.

Süntelbuchen

Süntelbuchen

Die Süntelbuchen bei Lietzow

Süntelbuchen sind eine seltene Varietät der Rotbuche mit bizarr verdrehten und gekrümmten Ästen. Sie werden nicht so hoch wie ihre gerade wachsenden Schwestern, nur selten erreichen sie mehr als 15 Meter. Ihre Namen haben sie nach einem Vorkommen im Süntel (einem zum Weserbergland gehörenden Gebirgsstock), der allerdings 1843 gerodet wurde, sodass dort nur noch wenige ältere Süntelbuchen zu finden sind.

Die Süntelbuchen, die mir als Vorbild dienten, stehen bei Lietzow auf Rügen. Dort wurden 1920 im Waldpark Semper zehn Süntel­buchen gepflanzt, deren Kronen zu einem kuppelartigen Dach verwachsen sind. Von außen sehen sie aus wie ein einziges Gebüsch, geht man jedoch hinein, kann man ihren gezackten und schlangen­gleich gewundenen Wuchs bewundern.
Über eine gruselige Vergangenheit des Ortes wie in der Geschichte ist mir jedoch nichts bekannt, das ist reine Fantasie.

Leseprobe aus dem Krimi „Die Rote Frau“

Leseprobe aus dem Krimi „Die Rote Frau“

Rhiannon trat kräftig in die Pedalen. Als sie den Brandweg erreicht hatte, war aus der Dämmerung Nacht geworden. Eine Eule rief. Na, super, jetzt fehlt nur noch das Gewitter, und sie wäre mitten in einem Gruselfilm. War es nachts immer so dunkel im Wald? Rhiannon war den Weg schon öfter im Dunkeln geradelt – das war auch eigentlich kein Problem, er war relativ neu, schnurgerade und auch zwischen den finsteren Baumfronten rechts und links gut auszumachen, zumal ihre neuen LED-Fahrradlampen wirklich so hell waren, wie der Katalog behauptet hatte.

Die Lampen. Fahrradlampen waren weniger dazu da, Dinge zu sehen, als vielmehr dazu, selbst gesehen zu werden. Und wenn hier doch ein Psychopath herumrannte, wollte sie von dem eher nicht gesehen werden. Sollte sie die Lampen ausschalten? Andererseits war der Psychopath unwahrscheinlicher als ein Autofahrer, der die zwar verbotene, aber praktische Abkürzung durch den Wald von Knakelin nach Musing nutzte. Ganz abgesehen von Jägern, von denen sie auch nicht gern mit einem Wild verwechselt ...

Ein Knall riss Rhiannon aus ihren Gedanken, sie fühlte einen heftigen Stoß gegen die Brust, der sie vom Rad warf. Ihr Kopf prallte gegen etwas Hartes. Sie hörte etwas oder jemanden durch das Unterholz brechen, es raschelte hinter ihr. Im Augenwinkel nahm sie eine Gestalt wahr, die neben sie trat. Gegenüber schoss eine weitere Gestalt aus dem Wald, blieb abrupt stehen, wich zurück, schrie auf, drehte sich um und verschwand wieder zwischen den Bäumen. Dann verlor Rhiannon das Bewusstsein.

Sie erwachte davon, dass jemand etwas Kaltes, Nasses auf ihren Kopf presste. Sie versuchte, die Augen zu öffnen – der erste Versuch scheiterte an dem Schmerz, den das plötzliche grelle Licht ver­ursachte, der zweite an dem Wasser, das ihr in die Augen rann. Jemand wischte das Wasser weg und Rhiannon wagte einen dritten Versuch, erst einmal nur mit einem Auge – dem, das auf der weniger schmerzenden Kopfseite saß. Es funktionierte, sie durfte es nur nicht zu schnell bewegen. Als erstes begriff sie, dass das Licht gar nicht grell war, es kam von einem Feuer, das in einem altertümlichen Herd brannte. Der musste aus dem vorletzten Jahrhundert stammen, im Freilichtmuseum hatte sie in einem alten Katen einmal so ein Ding gesehen, bei dem Feuer auf einer Art gemauertem Podest brannte, darüber hing der Topf. Über dem Ganzen wölbte sich ein gemauerter Bogen, der verhinderte, dass die Funken das Dach erreichten. Dagegen war der, den sie von Levkes verstorbener Großmutter noch in der WG-Küche hatten, geradezu futuristisch. Vorsichtig sah Rhiannon sich weiter um. Oh Gott, nicht nur der Herd war wie aus dem Katen, der ganze Raum war wie aus einem Freilichtmuseum! Sie lag auf einer alten Leinendecke auf, ja, das war tatsächlich Stroh! Der Boden aus gestampftem Lehm war mit Binsen – Binsen! – bestreut. Sie riss nun doch beide Augen auf, fuhr auf – und sank sofort stöhnend wieder zurück. Wo war sie denn hier gelandet? Um ein Haar hätte sie wieder das Bewusstsein verloren, tief ein- und ausatmend versuchte sie, bei Sinnen zu bleiben. Wer oder was war denn eigentlich der Jemand, der ihr den nassen Lappen auf den Kopf gelegt hatte?

Eine Frau trat durch die Tür. Die führte nach draußen, wie Rhiannon erkannte, als die Tür kurz offen stand und ein kühler Hauch Nachtluft das Rauschen der Bäume hereintrug. Das Haus schien nur aus diesem einen Raum zu bestehen – nein, der Außentür gegenüber entdeckte Rhiannon eine halbhohe Tür, über der etwas hervorlugte, das extrem an ein Ziegenhorn erinnerte. Die Fremde warf einige Kräuter in einen Kessel, der über dem Herd­feuer hing, und es begann zu duften. Die Frau trug ein einfaches Leinenkleid, ihre langen roten Haare waren notdürftig zu einem Zopf geflochten. Sie sah aus, als könnte sie ein Bad und vielleicht auch eine Waschmaschine gut gebrauchen. Und so langsam dämmerte es Rhiannon. Offenbar hatte sie hier eine der ganz überzeugten Ökos vor sich. Eine, die der modernen Welt mit HD-Fernsehen, Internet, Genmais, schwermetallhaltigen Fischen, Tütensuppen und eben auch Waschmaschinen den Rücken gekehrt hatte und ganz im Einklang mit der Natur lebte. Rhiannon hätte gegen ein bisschen Chemie in Form einer oder zweier Schmerz­tabletten im Moment nichts einzuwenden gehabt, aber die würde sie hier wohl nicht bekommen.

Stattdessen bekam sie aber eine Tasse dieses duftenden Gebräus. Vorsichtig probierte sie es, es schmeckte so gut, wie es duftete. Und es half, allmählich beruhigte sich ihr Kopf.

„Wer sind Sie? Äh, danke erst mal für den Tee. Und überhaupt für die Hilfe. Was ist eigentlich passiert? Ach so, ich heiße Rhiannon Vogelsang. Und Sie?“ Statt einer Antwort nahm die Frau das Medaillon, das immer noch um Rhiannons Hals hing und hielt es ihr vor die Augen. Es war verformt, offenbar hatte es bei dem Sturz gelitten. Irgendetwas steckte darin, vielleicht ein Stein. Rhiannon konnte es nicht erkennen, weil der Finger der Frau darüber lag. Im Feuerschein las sie den Namen „Amalia 26. Octbr. 1881“ Aha. Was genau sollte ihr das jetzt sagen? Dass die Ökotante stumm war und Amalia hieß? Die Ökotante drehte das Medaillon um. Dort stand ebenfalls der Name. Nein, halt, da stand nicht „Amalia“, da stand „Emilie“. Aber dasselbe Datum. In derselben falschen Schreibweise. Oder nein, vermutlich war das damals die richtige Schreibweise gewesen.

„Ähm, Sie heißen Amalia? ...“ Die Frau nickte. „... Oder Emilie?“ Die Frau nickte wieder. Dann drückte sie die verwirrte Rhiannon zurück auf die Strohmatratze. Rhiannon wollte weiter fragen, spürte aber, wie sie schläfrig wurde, ihre Augenlider wurden schwer und schwerer. Einen kurzen Moment öffnete sie die Lider wieder, da war etwas gewesen, im Gesicht der rothaarigen Ökofrau, was ihr bekannt vorkam. Bevor sie es jedoch erfassen konnte, schlief sie ein.

Jemand schüttelte sie sanft, widerstrebend öffnete Rhiannon die Augen. Das Feuer war erloschen, graues Dämmerlicht erhellte die Hütte. Es musste kurz vor Sonnenaufgang sein. Stumm half ihr die rothaarige Ökofrau auf und brachte sie zur Tür. Rhiannon merkte, dass es ihr merklich besser ging, sie war durchaus im Stande zu gehen. Allerdings fand sie es trotzdem seltsam, einen verletzten Gast vor Sonnenaufgang hinauszukomplimentieren, wenn man den mühevoll in der Nacht erst eingesammelt und aufgepäppelt hatte. Aber Ökos, die allein im Wald hausen, waren vermutlich prinzipiell seltsam. Die Ökofrau wies nach rechts und nickte Rhiannon auffordernd zu. „Ähm, ja, dann vielen Dank noch mal, und tschüß dann, Amalia. Emilie.“

Rhiannon wandte sich um, um in die ihr gewiesene Richtung zu gehen und blieb abrupt stehen. Sie befand sich mitten zwischen den Hexenbuchen. Über ihr wölbten sich die gekrümmten Äste, wie in einem nicht enden wollenden Krampf gefangen.

*

„Rhiannon? Rhiannon! Wachen Sie auf!“

Rhiannons Bewusstsein sammelte sich langsam. Da sprach jemand mit ihr. Sie kannte die Stimme – der alte Pfarrer? Sie zwang ihre Augen, sich zu einem Schlitz zu öffnen. Über ihr das Gesicht von Pfarrer Timpe, mit sorgenvoll gerunzelter Stirn. Über ihr? Dann begriff Rhiannon, dass sie auf dem Boden lag. Auf Waldboden. Wieso lag sie schon wieder? Langsam richtete sie sich auf. Ein paar Meter von ihr lag ihr Fahrrad.

„Sind Sie verletzt? Können Sie aufstehen? Oder soll ich einen Krankenwagen rufen?“

Mit der Hilfe des Pfarrers gelang es Rhiannon aufzustehen und nach einer Weile waren ihre Beine auch nicht mehr ganz so wackelig. Den Weg zu ihrem Rad konnte sie halbwegs sicher zurücklegen, das Bücken nach dem Rad nahm ihr Pfarrer Timpe ab.

„Was ist denn bloß passiert? Ich komme hier auf meinem üblichen Morgenspaziergang lang und sehe Sie im Gebüsch liegen, Sie können sich vorstellen, was für einen Schreck ich bekommen habe!“

„Ich ... keine Ahnung.“ Sie musste auf dem Weg von der Hütte zum Weg wieder ohnmächtig geworden sein, anders konnte sich Rhiannon das Ganze nicht erklären.

„Ich halte es für keine gute Idee, wenn Sie jetzt mit dem Fahrrad fahren, wir rufen Frau Sörensen an, damit die Sie mit dem Auto abholt. Bis zur Schranke am Waldrand gehe ich mit Ihnen mit.“

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© Wiebke Salzmann