• Wiebke Salzmann

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Ein Frauentag im Leben des Siegfried

oder: Was Frauen wirklich wollen

veröffentlicht in: VON WEGEN SCHREIBEN. Texte aus dem Literaturhaus Rostock. Hg.: Vera Doneck, Wolfgang Gabler. Edition Winterwork, Borsdorf, 2011.

„Ja, es ist unglaublich, was man da so mitmachen muss – warte mal, kurz, Edelgard, ich muss mal das Handy in die andere Hand nehmen, die Tischdecke ist wieder so unordentlich, wenn man nicht ständig hinter allen herräumt ... wo war ich, ach ja, also glaub ja nicht, dass er auch nur einmal selbstständig die Mülltonnen an die Straße stellt! Jedes Mal fragt er erst, welche Tonne gerade dran ist mit der Leerung! Als ob er nicht selbst nachgucken könnte, schließlich liegt der Müllkalender sichtbar in der zweiten Schublade von links unter dem Stapel mit den Kuchenrezepten hinter den Beruhigungstabletten über den Tempotaschentüchern rechts neben den Gummibändern. Also da fragt man sich manchmal wirklich ...“

Vor dem Fenster hinter Kriemhild erschien ein gelbgrün gefleckter Drachenkopf und schnupperte an der Fensterscheibe herum. Dann leckte er sich das Maul und folgte der viel versprechenden Beute mit glänzenden Augen, als diese aufstand, um die unbotmäßige Tischdecke geradezuzupfen.

„... interessiert Männer überhaupt, was wir Frauen wollen?“

Die Splitter der Fensterscheibe klirrten auf den Fußboden, die Drachenschnauze schob sich in die Kemenate. Das Maul öffnete sich und Klein-Sigurd, Kriemhilds Jüngster, der bereits gut durchfeuchtet unter der Drachenzunge lag, wurde sichtbar. Und hörbar. Genau genommen überwog die Hörbarkeit bei Weitem.

„... du, ich muss mal in die Küche, ich glaub, das Nudelwasser kocht ...“

Kriemhild stand auf und verschwand durch die Tür. Die Drachenkiefer prallten aufeinander, worauf die Drachenmundwinkel sich enttäuscht nach unten bogen und zwei große gelbe Drachenaugen dem Nudelwasser kontrollierenden Leckerbissen bedauernd hinterhersahen. Ein Schwert tauchte neben dem Drachenkopf auf. Zischend zog sich die Drachenschnauze aus der Kemenate zurück.

Rasselnd glitten die Nudeln ins Wasser.

„... Wie? Ach, wo denkst du hin! Natürlich hat er nicht an den Frauentag gedacht, Siegfried und mal an Blumen denken! Dieser Macho! Er hat ja nur seinen Beruf im Kopf ... Seit Monaten rede ich, er soll die Arbeitszeit reduzieren, um mir auch mal die Kinder abnehmen zu können, aber glaubst du, dieses Weichei kann sich gegen seine Chefin durchsetzen?“

Durch das zersplitterte Fenster war Waffengeklirr und Drachenfeuergefauche zu hören.

„... ob du es glaubst oder nicht, das hört sich an, als hätte er sich schon wieder Arbeit mit nach Hause gebracht! Ich finde wirklich, nach Feierabend sollte er für die Familie da sein und sich auch mal um die Kinder kümmern!“

Mit einem knirschenden Geräusch durchtrennte das Schwert den Drachenhals, der Drachenkopf fiel herab und der Drachenhals schwang kopflos vor dem Fenster herum. Dann zitterte der Boden. Ein Blick aus dem Fenster zeigte Kriemhild, dass der Drachenrumpf alle Viere von sich streckend auf dem Burghof lag.

„... Du, ich glaub, er kommt endlich zur Tür herein, zur Frühstückspause kommt er auch jeden Tag später ...“

Siegfried stand in der Tat bereits in der Kemenate – sofern man dieses An-der-Lanze-Hängen als Stehen bezeichnen wollte – mit der einen Hand hing er also an der Lanze, an der anderen hielt er den von gelbgrünem Drachensabber triefenden und immer noch ohrenbetäubend brüllenden Klein-Sigurd. Kriemhild schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Klein-Sigurd, wie siehst du aus! Geh dich waschen! Aber was soll man bei dem Vater auch erwarten – ich wünschte wirklich, du würdest dich etwas mehr um den Jungen kümmern ... möchtest du nicht mal den Helm abnehmen, wenn du mit mir redest?“

Siegfried tat wie ihm geheißen. Dummerweise verlor sein Ohr, das dem rotgrünen Drachen von der Frühschicht zum Opfer gefallen war, nun den letzten Halt und platschte auf den neuen Perser.

„Wie soll ich den Blutfleck denn nun wieder rausbekommen? Musst du wirklich immer alles fallen lassen, wo du stehst? Ich verlange ja nun schon gar nicht, dass du mir auch mal Blumen mitbringst – Edelgard hat fünfzig rote Rosen von ihrem Rudolf bekommen, immerhin ist heute Frauentag – ich habe ja inzwischen gelernt, dass du meine Arbeit gar nicht wahrnimmst, die ich hier Tag für Tag für euch alle leiste ... ich meine, trägst du mir etwa den schweren Teppich zum Waschen raus?“

Siegfried klammerte sich an seine Lanze – inzwischen kniete er, die rotgrünen Drachen spien so ein hintertückisches Gift, ihm war immer noch ganz belämmert – und zerrte mit der anderen etwas aus seiner Hosentasche zwischen Kettenhemd und Beinschienen hervor. Dann besah er es von allen Seiten, beschloss, dass ein von Drachengift durchnässter Rosenstrauß nur bedingt zur Besänftigung erboster Ehefrauen geeignet war (es wären einundfünfzig Rosen gewesen, da er so schlau gewesen war, vorher mit Rudolf zu sprechen, aber das half ihm jetzt auch nicht weiter) und stopfte es wieder zurück.

„Ja, Schatz, du hast ja recht, soll ich dir jetzt den Wäschekorb nach draußen trag...“ Siegfried lag jetzt bäuchlings auf dem Perser.

„Wäschekorb? Hörst du überhaupt mal zu? Interessierst du dich überhaupt für mich? Wäsche mache ich donnerstags!“

„Heute ist Donnerst...“

Siegfrieds Handy klingelte in diesem Moment, er zerrte es hoffnungsvoll aus der Innentasche des Kettenhemdes, wischte es notdürftig sauber – das rote Blut war von ihm, das grüne vom vorletzten Drachen – überhörte Kriemhilds „Also, wirklich, ich rede mit dir!“ und vernahm, dass Hagen unpässlich war (Von wegen unpässlich – wahrscheinlich war der wieder bei einem Sondereinsatz der speziellen Sorte bei Brunhild persönlich. Was fand die Chefin bloß an dem?) und er sofort zu einem Notfall musste, eine Jungfrau aus Fafnirs Kochtopf retten.

Unendlich erleichtert kroch er zur Tür hinaus und verließ das Krisengebiet.

*

„Was soll denn das? Glaubst du Macho etwa, ich wäre nicht in der Lage, einen lächerlichen Aktenstapel zu tragen?“

Rasch ließ Siegfried den Stapel aus sechsundfünfzig Aktenordnern auf den Tisch krachen und suchte Deckung vor Brunhilds Augen und ihrem Schwert. Bei dem Schwert gelang es ihm.

Brunhild wuchtete sich die Akten auf den Arm und marschierte zur Tür. „Und nimm das dämliche Gemüse von meinem Schreibtisch. Dieser Frauentag ist auch so eine Erfindung von euch Männern. Ihr glaubt, wenn man uns einmal im Jahr Blumen mitbringt, ist der Dankbarkeit Genüge getan. Aber ich will dir mal was sagen – wir brauchen weder eure Dankbarkeit, noch brauchen wir euch – solange ihr euch nicht dafür interessiert, was wir wirklich wollen! Untersteh dich, mir die Tür aufzuhalten! Das kann ich selbst.“

Hastig zerrte Siegfried die fünfzig Rosen aus der Vase und versteckte sie unterm Kettenhemd. Dann folgte er seiner Chefin in den Konferenzraum. Die knallte den Aktenstapel auf den Tisch, ließ sich dann in ihrem Chefinnensessel nieder und musterte die Runde ihrer Außendienstmitarbeiter – Gunther, Hagen und Siegfried.

„Meine Herren, ich musste diese Krisensitzung einberufen, weil unser Kollege Siegfried seine Arbeitszeit reduzieren will. Seine Gattin wünscht mehr Engagement bei Haushalt und Kinderbetreuung. Und unser lieber Kollege will ihr offenbar genau das zum Frauentag schenken. Weshalb ich hier mal wieder alles umorganisieren kann.“

Wieder hatte Siegfried den dringenden Wunsch, sich vor ihrem Blick in Sicherheit zu bringen. Es nützte auch nicht viel, seinen Kollegen statt ihrer anzusehen. Gunther zog spöttisch die Brauen hoch, seine Lippen formten etwas, das wie „Pantoffelheld“ aussah. (Dabei war allgemein bekannt, dass er bei seiner Frau und Chefin auch nicht viel zu melden hatte. Zwar hielten die meisten es für ein Gerücht, dass er jede Nacht von Brunhild gefesselt und an den Haken gehängt wurde, aber man fragte sich schon, wieso die Ehe bislang kinderlos geblieben war.)

„Wir müssen uns deshalb jetzt überlegen, wie wir die anstehenden Aufträge auch ohne Siegfried erledigen können. Es liegt auf der Hand, dass jemand mit einer 99/100-Stelle nicht mehr Chefdrachentöter sein kann. Ein Weichei, das unter der Knute seiner Frau steht, kann ich für diese Position nicht gebrauchen. Ich muss darüber nachdenken, wer das ab sofort übernehmen kann.“

Gunther machte sich groß und breit in seinem Stuhl, offenbar probte er schon mal, wie er in einem Chefdrachentötersessel sitzen würde. Siegfried kannte die Haken in Brunhilds Schlafzimmer und machte sich Gunthers wegen keine Gedanken. Hagen verzog wie üblich keine Miene, aber Siegfried meinte schon, die Lanze in seinem Rücken zu spüren. Von Anfang an war Hagen scharf auf seinen Posten gewesen und nun hatte er ihn wahrscheinlich endlich.

„Mit allen finanziellen und sonstigen Vergünstigungen.“ Brunhild warf dem Tronjer einen unmissverständlichen Blick zu, der Gunther vor Wut rot anlaufen ließ. „Sie meint doch nicht etwa den?“, zischte er Siegfried zu. „Mit dem stimmt doch was nicht! Hast du den mal reden hören? Seine komische Piepsstimme? Wie soll er denn damit Chef spielen?“

Siegfried verzog das Gesicht. Vermutlich würde Hagen geheimnisvoll schweigen wie immer. Er selbst war gar nicht so unglücklich, die „sonstigen Vergünstigungen“ los zu sein, nicht nur, dass es extrem anstrengend war, Brunhild zufrieden zu stellen, es hatte auch stets befürchtet, dass Kriemhild mal dahinter kam, schließlich gingen die beiden Frauen öfter gemeinsam in den Dom. Ganz abgesehen davon, dass Hagen ohnehin schon lange ebenfalls zu dieser Art Sondereinsatz berufen wurde.

Das mit der Gehaltskürzung war da schon schwieriger. Und zwar nicht, weil er selbst das Geld gebraucht hätte.

*

Die Mittagspause am heimischen Tisch führte denn auch zu einer handfesten Ehekrise.

„Was? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Du bist herabgestuft? Das Mädchen kommt demnächst in die Schule, wir wollten dieses Jahr zweimal Urlaub machen – wovon sollen wir das jetzt bezahlen? Sollen wir jetzt vielleicht in den Taunus fahren? Oder einen Ausflug auf den Drachenfels machen? Ich habe zwei Wochen Ungarn gebucht! Und du überbringst mir diese Nachricht ausgerechnet zum Frauentag! Aber was ich will, spielt hier ja sowieso keine Rolle!“

Kriemhild stemmte die Arme in die Seiten und erdolchte ihren Gatten mit Blicken. „Dass du aber auch immer vor dieser Schnepfe klein beigeben musst! Du hast überhaupt keinen Mumm in den Knochen! Am besten, ich klär das mit der Ziege am nächsten Sonntag vor dem Dom! Das wollen wir doch mal sehen, wer von uns beiden dir zu sagen hat, was du zu tun hast!“

Wieder hatte Siegfried dieses undeutliche Gefühl wie von einer Lanze im Rücken. Das Gespräch der beiden Frauen musste er verhindern, bei so was konnte nichts Gutes herauskommen.

*

Nach der Mittagspause gab er also als Erstes einen neuen Antrag auf Rücknahme des alten Antrags im Sekretariat ab und ging dann auf eine entspannende nachmittägliche Drachenjagd. Diesmal stellte sich die Entspannung jedoch nicht so recht ein. Zurück in der Firma wurden seinen Befürchtungen bestätigt. Kaum betrat er das Sekretariat, wurde er zu Brunhild hinein beordert. Sein Antrag lag auf ihrem Schreibtisch. Sie lehnte sich in ihrem Chefinnensessel zurück.

„So, du hast also einen Antrag auf Rücknahme des Antrages auf Arbeitszeitverkürzung aus privaten Gründen gestellt. Ich muss sagen, ich hätte dir mehr Rückgrat zugetraut. Da ist endlich mal ein Mann so mutig, sich gegen alle Konventionen der Familie zu widmen, und was tut er dann? Er knickt ein! Dass auch du so ein Weichei bist ... Wie auch immer, ich kann nicht stündlich einen Krisengipfel einberufen und meine Planung auch nicht ständig ändern. Dein Antrag ist abgelehnt. Den Posten als Chefdrachentöter übernimmt ab sofort Hagen.“

Da war er, der Lanzenstoß.

Mit dem üblichen undurchsichtigen Gesicht betrat Hagen das Büro und überreichte Brunhild mit einer eleganten Verbeugung und schweigend wie immer neunundvierzig langstielige Rosen. Irritiert beobachtete Siegfried, wie sie an den Blumen schnupperte.

„Herzlichen Dank! Wenigstens ein Mitarbeiter, der an den Frauentag denkt! Ach Hagen, würdest du mir bitte helfen, diese beiden Aktenordner in den Konferenzraum zu tragen?“

*

„Und was mach ich jetzt? Kriemhild macht mir die Hölle heiß, wenn ich nicht mehr Chefdrachentöter bin.“ Trübsinnig starrte Siegfried auf die Platte seines Lieblingstisches in seiner Lieblingskneipe „Walhalla“. „Und wenn die beiden sich am Sonntag vor dem Dom begegnen, bin ich den Job ganz los. Ist der totale Krisenherd, dieser Dom. Dabei dachte ich, sie will, dass ich weniger arbeite, hatte wirklich gedacht, sie hätte sowas gesagt ... Und Brunhild will ... ja, was? Was will sie?“ Von der Grundsätzlichkeit des Problems überwältigt, seufzte Siegfried tief. „Was wollen sie? Die Frauen? Was wollen sie wirklich? Weiß das jemand?“

Gunther runzelte finster die Stirn. „Wieso ausgerechnet der? Der alberne Sohn des Alben Alberich? Ich sage dir, unter dieser Rüstung steckt ganz was anderes! Wahrscheinlich runzelige Albenhaut! Oder Albenpickel! Hast du ihn schon mal ohne Rüstung gesehen? Also ich noch nie! Hat er uns jemals ins Badehaus begleitet?“

Siegfried warf Gunther einen schiefen Blick zu. Er stand auch nicht so besonders auf die Saufgelage in der Badewanne mit den ewig kichernden Mädels.

„Wieso nicht ich?“, kam Gunther auf das Thema zurück. „Ich würde es denen schon zeigen! Den Drachen und überhaupt! Wieso zeigst du deiner Frau nicht endlich mal, wer der Herr im Hause ist? Also ich an deiner Stelle hätte schon längst mal die Rangordnung klar gestellt!“

Siegfried dachte an die Haken in Brunhilds Schlafzimmer und starrte weiter trübsinnig auf die Tischplatte.

Gunther schlug auf dieselbe, sah sich um und entdeckte die beiden Serviererinnen hinten am Ecktisch.

„Wieso gibt er hier heute eigentlich nichts zu trinken? Die Bedienung hat der Wirt hier genauso wenig im Griff wie du deine Frau. Heh, Mädels, zwei Met, aber zackig!“

Er übersah die hastigen Gesten des Kneipenwirts. Siegfried beobachtete trübsinnig, wie der krisengebeutelte Wirt (immerhin war er seit Äonen mit den beiden Serviererinnen in Walhalla) hinter der Theke Deckung suchte, den Schlapphut tief ins Gesicht zog, sich in seinem blauen Mantel verkroch und mit einem Auge und einer Augenklappe über den Rand schielte. Seine beiden Raben flatterten erschrocken auf einen Deckenbalken. Dann kamen die beiden Walküren an Siegfrieds und Gunthers Tisch. Ein Schwert fuhr in die Tischplatte. Siegfried starrte jetzt trübsinnig auf das Schwert. Das andere Schwert schoss auf Gunthers Hals zu und blieb kurz davor stehen.

„Met willst du? Heute? Am Frauentag?“ Rista stützte sich auf ihr Schwert in der Tischplatte.

„Und hast noch nicht mal Blumen mitgebracht? Frauentagsblumen?“ Mista schob ihr Schwert ein Stück auf Gunthers Hals zu.

„In dem Ton Met fordern und noch nicht mal eine Anerkennung des schwachen Geschlechtes zum Frauentag?“ Mit einer Handbewegung spaltete Rista die Tischplatte.

„Keine Blumen für zarte Frauenhände?“ Mista holte aus und Siegfried beobachtete trübsinnig, wie Gunthers Kopf über den Boden rollte. Naja, immer noch besser, als in einer Schlangengrube oder so zu enden.

„Und der Herr Siegfried? Wollen der Herr vielleicht auch noch was?“

Siegfried sah sich gezwungen, seine Trübsinnigkeit kurz beiseite zu schieben, die fünfzig leicht zerdrückten, aber wenigstens nicht drachengiftbespienen Rosen aus dem Kettenhemd zu ziehen. Die Walküren zählten nach und befanden die Anzahl als Lösegeld für seinen Kopf hinreichend. Sie zogen sich wieder in die hintere Ecke zurück.

Geduckt kam der Wirt an Siegfrieds Tischreste geschlichen, schob Gunther ein wenig beiseite, setzte sich und holte einen Krug Met hervor. Dann starrten beide trübsinnig auf die Tischreste und ließen den Krug hin und her gehen.

„Was wollen sie?“ Dieses Problem zu lösen, schien Siegfried inzwischen überlebenswichtig. „Wollen sie was? Äh, ich meine natürlich – was wollen sie? Weißt du es?“

Aber der Wirt zuckte bloß resigniert mit den Schultern. „Das weiß niemand. Nicht einmal der Göttervater. Wir müssen sie loswerden. Irgendwie müssen wir die Frauen loswerden. Ohne sie gäb’s auch diesen Frauentag nicht mehr.“

Siegfried nickte. „Aber wie? Waberlohe? Können wir sie in einer Waberlohe einsperren?“

Der Wirt schüttelte frustriert den Kopf. „Hab ich schon mal versucht. Hicks. Klappt nicht.“

„Stimmt. Irgendwann kommt so ein Idiot und befreit sie.“

„Hm. Was ist mit Drachen? Drachen fressen doch Frauen?“

Siegfried seufzte. „Das wird immer weniger. Die meisten sind längst auf Spanferkel umgestiegen. Heute Morgen sollte ich eine Jungfrau retten. Dachte ich. In Wirklichkeit hatte Fafnir selbst mit verstellter Stimme den Notruf abgesetzt und ich musste ihn vor der Jungfrau retten. War knapp. Für kein Gold der Welt holt er noch mal eine Jungfrau zum Mittagessen. Sagt er. Er hat mich im Gegenteil mit Gold überhäuft für das Versprechen, ihm auch in Zukunft vor ihnen zu retten. Falls er aus Versehen mal wieder eine erwischt. Ich hab ihm einen Service-Vertrag angeboten.“

„Ach, daher die blauen Flecken? Dachte – hicks – schon, dass wäre Kriemhild gewesen.“

Siegfried zog einen Ring hervor. „Als noch ein Barthaar von mir aus dem Goldberg herausguckte, hat er mir noch den Ring an den Kopf geworfen. Aber was mach ich jetzt mit dem Goldkram?“

Der Wirt warf nur einen halben Blick auf den Ring. „Hicks“, nickte er, „ich erinner’ mich an das Zeug. Gib’s doch Kriemhild. Und Brunhild. Vielleicht hilft es.“

„Und welcher von beiden geb ich den Ring? Wenn die sich vorm Dom treffen und die eine den an der anderen sieht, gibt’s doch bloß wieder Ärger. Nein, ich schmeiß das Zeug in den Rhein. Sollen sich doch die Otter das Gold holen.“

„Was ist mit Attila? Ein Überfall der Hunnen mit Frauenraub?“, kam der Wirt auf das ursprüngliche Thema zurück und griff ein paar Mal daneben, bevor es ihm gelang, den Krug zu fassen.

„Hab ich schon angefragt. Er hat kein Interesse. Ist froh, dass seine Frau gestorben ist und er seine Ruhe hat. Will keine neue. Und schon gar nicht meine. Er befürchtet Mord und Totschlag, wenn sie an seinen Hof kommt.“

Wieder starrten beide auf die Hälften der Tischplatte, der Wirt friedlich vor sich hin hicksend.

„Los werden wir sie also nicht. Aber es muss doch irgendwie gehen, mit ihnen klar zu kommen. Ich meine, dieser Typ aus Tronje schafft es doch auch“, schöpfte Siegfried neue Hoffnung. „Den hat Brunhild noch nie angefaucht. Selbst Kriemhild lächelt, wenn er zu Besuch ist. Er durfte ihre Wäsche auch am Mittwoch tragen, obwohl das gar kein Donnerstag war. Ich darf es noch nicht mal am Donnerstag, wenn wirklich Donnerstag ist. Offenbar ist ein Mann also grundsätzlich in der Lage, Frauen zu verstehen. Zu kapieren, was sie wirklich wollen. Dann kann ich das vielleicht auch begreifen.“

Der Metkrug ging hin und her.

„Hm. Dann frag ihn doch, wie er’s macht. Wenn er – hicks – so’n Frauenkenner ist. Wie er rauskriegt, was sie wollen. Aber erst mal sollten wir uns heimlich hier raus schleichen. Dieser kopflose Typ hier macht mich depressiv.“

*

„Aber Hagen fragen? Ausgerechnet den?“ Siegfried kickte missmutig einen Kiefernzapfen weg, übersah dabei einen Ast und rieb sich die Stirn. „Also ein bisschen komisch ist er ja tatsächlich, oder? Meinst du, er hat Albenpickel unter seiner Rüstung?“

Der Wirt wankte neben ihm her, tief in seinen blauen Mantel verkrochen. „Häh? Keine Ahnung. Hab ihn nie – hicks – nich ohne gesehen. Warum willste ihn nich fragen? Haste Angst, er erdolcht dich? Hicks. Offenbar weiß er was, was wir nicht wissen. Über Frauen, mein ich. Was sie wollen. Oder ist wichtiger, was sie nicht wollen? Wenn wir Männer den nächsten Frauentag überleben wollen, müssen wir – hicks – wissen, was die Frauen von uns wollen. Und da es offenbar nur einen Mann gibt, der das weiß ... ah, guck mal, ein Weiher! Ich hab Durst!“

Der Wirt stolperte hinüber zu dem Tümpel und schöpfte sich Wasser in den Mund. Etwa ein Zehntel erreichte auch seinen Bestimmungsort. Dann rollte er sich auf den Rücken. Siegfried kniete sich ebenfalls ans Ufer, um zu trinken. Dieser Met war einfach zu süß. Der Wirt tippte ihn an. „Du, da kommt er. Unser Frauen-hicks-fachmann, meine ich. Hicks.“

Siegfried drehte sich zweifelnd um. Ausgerechnet den sollte er um Rat fragen müssen? Er beobachtete, wie Hagen seine Lanze hob. Siegfried runzelte die Stirn. Was kam jetzt?

Ein Handy klingelte. Hagen stellte die Lanze an einen Baum, zog sein Handy aus der Tasche und hielt es ans Ohr.

„Hallo? Ach, du bist’s, Brunni.“ Seine Stimme klang wirklich irgendwie piepsig, stellte Siegfried fest, duckte sich und zog auch den Wirt nach unten. Noch war die Lanze in Hagens Reichweite. Aber der telefonierte seelenruhig weiter, riss derweil mit der freien Hand die Perücke vom Kopf und zerrte sich den falschen Bart herunter. „... Im Wald, will baden. ... Wie? ... Nein, natürlich bin ich allein hier. Mich sieht schon keiner. Aber sag mal, wie lange soll ich eigentlich noch ...“ Hagen verdrehte entnervt die Augen. „Ja, aber es geht mir einfach auf den Geist, hier ständig den Kerl spielen zu müssen, damit keiner merkt, dass wir beide ... Können wir nicht einfach offiziell als Paar ... Ja, schön, aber was willst du, Brunhild? Du musst dich endlich entscheiden, was du willst!“ Hagen schleuderte das Handy ins Gebüsch und starrte ihm finster hinterher. „Ich begreife dich nämlich langsam nicht mehr ...“

Dann öffnete er die Schließen an seiner Rüstung und ließ das Metall fallen. Unter der Rüstung steckte in der Tat etwas ganz anderes. Hagen war eine Hägin. Der einzige Mann, der Frauen verstand, war keiner. (Und verstand offenbar auch nicht wirklich bis ins Letzte, was sie wollen ...)

Siegfried starrte sprachlos die neue Chefdrachentöterin an, die jetzt in aller Ruhe – und mit ihr jegliche Hoffnung – baden ging.

© Wiebke Salzmann, 2012

© Wiebke Salzmann